Energiewende vs. Energiesicherheit: Ein Wettlauf mit der Zeit

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The Pioneer Expert: Gastbeitrag von Ridwan D. Rusli 

Wir brauchen einen Booster für Öko-Energien

Veröffentlicht am Sonntag, 21.11.2021 00:00 Uhr

Wir brauchen einen Booster für Öko-Energien | ThePioneer

Der Ausbau der Öko-Energien muss entbürokratisiert und beschleunigt werden. Sonst endet der frühzeitige Ausstieg aus Kern- und Kohleenergie in einer Abhängigkeit von Erdgas- und Stromimporten. Das würde der Umwelt schaden und Deutschland geopolitisch schwächen.

Deutschland ist weltweit Vorreiter beim Ausstieg aus Kern- und Kohleenergie. Der Ausbau erneuerbarer Energieerzeugungskapazitäten und die dafür notwendige Infrastruktur werden stark gefördert.

Wir verfügen bereits heute über einen hohen Anteil erneuerbarer Energiequellen an der Elektrizitätsversorgung. Die Förderung dieser sauberen Energietechnologien ist einer der wichtigsten Beiträge Deutschlands für Entwicklungsländer weltweit.

Der Rest der Welt schaut auf Deutschland mit Bewunderung, nicht zuletzt seitdem die deutsche EU-Kommissionspräsidentin der Welt den europäischen „New Green Deal“ unterbreitet hat. Sind all dies Anzeichen, dass die deutsche Energiewende bisher erfolgreich war und ist?

Eine Studie[1] über Deutschlands Energiesicherheitsstatus und die Entwicklung während der Energiewende der letzten 20 Jahre kommt zu einem differenzierten Ergebnis.

Vier Dimensionen der Energiesicherheit werden in der Studie untersucht:

·        Akzeptanz und Unterstützung der Gesellschaft und der Bürger/innen

·        Bezahlbarkeit für Konsumenten und Industrie

·        Verfügbarkeit von Energiequellen

·        Kompetenzen in den geeigneten Technologien

Während die Akzeptanz der Bevölkerung für die Energiewende in den letzten Jahrzehnten stetig gestiegen ist, ist die Verfügbarkeit von bezahlbaren Energiequellen für deutsche Haushalte und Industrieunternehmen in den letzten Jahren gesunken.

Selbst in der Technologiewertschöpfungskette der erneuerbaren Energien ist Deutschland nicht mehr Vorreiter.

Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen in diesem Bereich sind aktuell gesunken und es scheint, als habe die deutsche Industrie Unternehmergeist und Risikobereitschaft teilweise verlernt.

Das Umwelt- und Klimadenken der deutschen Gesellschaft begann mit den Kernenergiegegnern der Siebzigerjahre und dem 1980 vom Öko-Institut erstmalig verwendeten Ausdruck „Energiewende“.

Darauf folgten mehrere Erneuerbare-Energien-Gesetze („EEG“), vereinbarte Energiekonzepte und der europäische Emissionshandel.

Die darauffolgenden Entscheidungen des deutschen Parlaments zum Ausstieg aus der Kernkraft und der Kohleverstromung deuten auf die konsequent positive Einstellung der deutschen Bevölkerung gegenüber der Energiewende hin.

Beim raschen Ausstieg aus Kern- und Kohleenergie sind wir zwar weltweit federführend, doch bringt er extrem hohe Kosten und Lieferrisiken für die deutschen Haushalte und Steuerzahler mit sich.

Einerseits müssen deutsche Energiekonsumenten hohe Kraftstoff- und Stromsteuern sowie stetig steigende EEG-Umlagen und Netzentgelte für ihren Strom bezahlen, um den Ausbau der erneuerbaren Energie-Kapazitäten und der Infrastruktur zu fördern.

Deutsche Haushalte zahlen gegenwärtig die weltweit höchsten Stromkosten und mitunter die höchsten Kraftstoffpreise. Diese hohen Energiekosten führen zu sozialen Problemen für Haushalte mit niedrigem Einkommen und potenziellen Wettbewerbsnachteilen für energieintensive Industriezweige.

Andererseits ist der Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugungskapazitäten nicht schnell

genug, um den Verlust an der Kernenergieproduktion seit dem Fukushima Reaktorunfall in 2011 und den demnächst sinkenden Kohleanteil an der Stromversorgung auszugleichen.

Der Ausbau erneuerbarer Energieerzeugungskapazität und der dafür notwendigen Transmissionsinfrastruktur ist vor allem im Falle von Windkraft in den letzten paar Jahren eingebrochen. Neue Ausschreibungen für und der weitere Zubau von neuen Windkraftanlagen sind entweder bürokratisch langsam oder stoßen an jährliche Volumenbegrenzungen und Mindestabstandsregeln.

Die Folge ist eine stetig wachsende Abhängigkeit von Erdgaseinfuhren aus Russland und anderen Nachbarländern, die zu erhöhten Lieferrisiken und Preisvolatilitäten führt und geopolitische Risiken birgt.

Die derzeitig stark erhöhten Erdgaspreise und die schwierige Lage an der polnischen Außengrenze sind Beispiele dieser komplexen Wechselwirkung.

Ironisch ist dabei, dass zwischenzeitlich Kohleverbrennung Aushilfe leisten muss und Deutschland gezwungen ist, teilweise auch Strom aus Kernkraftwerken in den Nachbarländern zu importieren. 

Darüber hinaus haben Haushalte und Steuerzahler in den letzten Jahren energieintensive deutsche Unternehmen subventioniert und von den EEG-Umlagen und Netzentgelten befreit.

Ferner haben diese Subventionen und Umlagen aufgrund eines festen Glaubens an den freien, globalen Handel vielen ausländischen Unternehmen, wie zum Beispiel chinesischen Photovoltaikherstellern, die Gelegenheit gegeben, große Kapazitäten aufzubauen und global wettbewerbsfähig zu werden.

Deutschen Unternehmen wurde dabei erlaubt, aus Effizienzüberlegungen und ohne Rücksicht auf den langfristigen, inländischen Erhalt an Kernkompetenzen, ihre Produktions- und Technologieinfrastruktur ins kostengünstigere Ausland zu verlagern. Was langfristig für die deutschen Industrieunternehmen und Mittelständler nicht wettbewerbsfördernd sein wird.

Die Realität sieht also, zumindest kurzfristig, nicht so rosig aus. Grund für Hoffnung gibt es trotzdem, aber nur wenn fünf Voraussetzungen erfüllt werden:

1. Die künftige Koalitionsregierung muss die Entbürokratisierung, Digitalisierung und Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energieerzeugungskapazitäten, der Transmissionsnetzwerke samt Anschluss an die Elektrizitäts- und Gasleitungsnetzwerke der EU und skandinavischen Nachbarländer konsequent durchführen.

Dieser beschleunigte Infrastrukturausbau ist umso kritischer, weil die Elektrifizierung des Transports und der geplante Einsatz von Wasserstofftechnologien künftig extrem hohe Stromerzeugungskapazitäten benötigt und diese Prozesse praktisch unumkehrbar sind.

2. Ein effizienter Markt für Kohlenstoffemissionszertifikate und der zügige Abbau von Industriesubventionen, Umlagen- und Entgeltbefreiungen sind unabdingbar.

Diese müssen jedoch durch strikt zielgerichtete und meilensteinbasierte Risikoabfederung und Co-Finanzierungen in strategischen Investitions-, Forschungs- und Entwicklungsvorhaben mit Schwerpunkt auf dem Standort Deutschland kompensiert werden.

3. Haushalte mit Niedrigeinkommen müssen gezielt unterstützt werden, aber nur so lange Anreize zur Energiesparsamkeit weiterhin gewährleistet und Arbeitsethik, Unternehmergeist und Selbstverantwortung aufrechterhalten bleiben.

4. Geopolitische Macht und Verhandlungsstärke setzen militärische und ökonomische Stärke voraus. Da Deutschland und die EU militärisch schwach und von der NATO abhängig sind, bleiben Deutschland und Europa nur ihre Wirtschaftsmacht und Technologieführerschaft übrig. Diese müssen verteidigt, weiter ausgebaut, diversifiziert, intelligent eingesetzt und sich mit optimalen Markt- und Verhandlungsstrategien zunutze gemacht werden.

5. Um den Klimawandel global und solidarisch zu bekämpfen, Energiesicherheit zu gewährleisten und die Wirtschaft nachhaltig zu machen, müssen Deutschland und die EU geopolitisch stärker und wirtschaftspolitisch diversifizierter und kapitalmarktfreundlicher werden.

Die neue Regierung sollte nicht nur ein idealisiertes, klimaneutrales Weltbild mit großzügigen Subventionsangeboten für andere bieten, sondern vor allem eine realistische, global konsentierte Klima- und Handelsstrategie forcieren, gestützt durch eine optimale geopolitische Verhandlungsbasis.

 

 



[1] Youngho Chang (Singapore University of Social Sciences), Ridwan D. Rusli (Technische Hochschule Köln) und Jackson Teh (Nanyang Technological University). 2021. "Energy Transition and Energy Security in Germany: A Path to Sustainability and Security".

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