Für eine nachhaltige Wirtschaft Luxemburgs
Eine Wirtschaft muss wirtschaftlich, umweltmäßig und sozial nachhaltig sein. Luxemburgs Wirtschaft braucht Talententwicklung und Kompetenzbildung, Technologie- und Unternehmergeist sowie eine kohärente Umwelt-, Industrie-, Sozial- und Fiskalpolitik.
Prof. Dr. Ridwan D. Rusli, Ökonom, Unternehmensberater und Investmentbanker, Chemiker und Chemieingenieur (2020, aktualisiert Dezember 2021)
Die Pandemie stellt die größte Herausforderung für Luxemburger und ihre
Regierung seit dem Zweiten Weltkrieg dar. Das wirtschaftliche und fiskalische
Hilfspaket wird öffentliche Mittel in Höhe von mindestens 9 Milliarden Euro –ca.
14% des Bruttoinlandsprodukts– plus Bankengarantien beanspruchen, um die
Kosten im Gesundheitssystem zu finanzieren und die Finanz- und
Liquiditätsengpässe von Unternehmen und Angestellten zu bewältigen. Die
Regierung und das Kabinett haben in kürzester Zeit öffentliche Institutionen,
das Militär und relevante Privatunternehmen mobilisiert, um vor allem den
Mangel an medizinischen Geräten, Schutzbekleidung, Krankenhausbetten sowie
Fachkräften und Pflegepersonal zu verhindern. Wie die widerkehrende
Infektionswelle der letzten Monate verdeutlicht, ist das Ende dieser Pandemie,
trotz der Entwicklung vielversprechender Impfstoffe, auf Grund der neuen Virusvarianten noch
nicht in Sicht.
Gleichzeitig
verdeutlicht diese Pandemie und die mittelfristig zu erwartende Wirtschaftskrise
auch die Schwächen und Risiken der in den letzten Jahren robust wachsenden
Wirtschaft des Landes. Einerseits ist Luxemburg äußerst abhängig von täglich
oder wöchentlich einreisenden Arbeitern und Angestellten aus Belgien,
Frankreich und Deutschland (Grenzgängern). Andererseits ist die Wirtschaft des
Landes, trotz der hohen Wachstumsraten der letzten Jahre, seit dem Untergang
der Stahlindustrie sehr stark von den Finanz- und
Konsumentendienstleistungssektoren abhängig.
Erstens:
Gerade während dieser Pandemie und der damit verbundenen Kapazitätsengpässe im
Gesundheitssystems kann Luxemburg es sich nicht leisten, die vielen Grenzgänger
–im Gesundheitsbereich, in der Logistik und im Einzelhandel sowie im wichtigen
Finanzsektor– zu verlieren. Über 40% der Angestellten und Arbeitern fahren
täglich oder wöchentlich aus Belgien, Frankreich und Deutschland, um in
Luxemburg zu arbeiten. Über Dreiviertel der Beschäftigten im Banken- und
Finanzsektor sind nicht-Luxemburger. Gleichzeitig beträgt der Anteil von
Selbstständigen und Selbstbeschäftigten in der Bevölkerung nur ca. sechs Prozent.
In den
letzten Jahren hat sich der Anteil der Grenzgänger im Dienstleistungs- und
Gesundheitsbereich, im Einzelhandel und in der Verwaltung stetig erhöht. Im
Baugewerbe und im Finanz- und Versicherungssektor residieren zwar viele
ausländische Arbeiter und Angestellten in Luxemburg, aber ein beträchtlicher
Teil pendelt täglich oder wöchentlich über die Grenzen nach Luxemburg. In guten
Zeiten funktioniert solch ein System gut, aber zu Krisenzeiten wird es
deutlich, dass eine zu starke Abhängigkeit von Grenzgängern, so wie auch von
importierter Energie und Produkten, riskant sind und eine diversifizierte und
nachhaltige Zukunftsplanung erfordern. Zum Beispiel sollte man qualifizierten Grenzgängern und ausländischen Fachkräften Anreize geben, sich in Luxemburg langfristig niederzusetzen und einzubürgern. Dies erhöht das Verantwortungsgefühl und verpflichtet sie eher dazu, sich dem Wohle des Landes zu widmen.
Zweitens:
Die Wirtschaft ist nicht ausreichend diversifiziert. Vor allem die
Steuereinnahmen aus dem Finanz- und den damit verbundenen
Unternehmensdienstleistungssektoren haben in den letzten Jahren alle Beamten-
und Sozialsysteme sowie Infrastrukturprojekte im Lande finanziert. Dabei ist
durch diese Pandemie deutlich geworden, dass Wirtschaftskrisen in zeitlichen
Abständen immer wieder zurückkehren und der Finanzsektor stark volatil ist.
Was das
Bruttoinlandsprodukt anbelangt, ist die Luxemburgische Wirtschaft zu gut einem
Viertel von den Finanz- und Versicherungssektoren, zu ein Sechstel von
Konsumentendienstleistungen und Einzelhandel sowie zu insgesamt fast neunzig
Prozent von Dienstleistungen abhängig. Das produzierende Gewerbe generiert nur
sieben Prozent des Bruttoinlandsproduktes, während nur sechs Prozent der
Arbeitstätigen Selbständige sind. Als Vergleich könnte der Stadtstaat Singapur
dienen, der das wichtigste Finanzzentrum Südostasiens ist. Dort tragen die
Finanz- und Versicherungssektoren nur vierzehn Prozent und das produzierende
Gewerbe mehr als zwanzig Prozent der Wirtschaftswertschöpfung aus. Vor allem
die Volatilität der globalen Finanzmärkte der letzten zehn Monate zeigt, dass
ein Land sich nicht zu sehr vom Finanzsektor abhängig sein darf. Die noch hohen
Steuereinnahmen vom Finanzsektor dürfen einem nicht nachlässig machen. Da diese
Krise auch viele im Konsumentendienstleistungsbereich und im Einzelhandel
tätigen Angestellten und Mittel- und Kleinunternehmen am härtesten betrifft,
werden diese Steuereinnahmen für den erhöhten Aufwand zur Unterstützung dieser
Angestellten und Branchen eingesetzt.
Drittens:
Während Krisenmanagement ein wichtiger Grund ist, um die oben genannten
Abhängigkeiten zu verringern, ist das langfristige Risiko einer auf weniger
Technologie, Produktion und Unternehmertum basierten Wirtschaft für die
Gesellschaft dagegen subtiler, aber mindestens so gefährlich. Die Abhängigkeit
von ausländischen Angestellten und von wenigen Industrien und Firmengründungen
höhlt nämlich das kollektive Fachwissen aus und resultiert zunehmend in
fehlende spezialisierte Fertigkeiten und Kompetenzen, weil die Luxemburger
selbst nicht mehr das Bedürfnis haben bzw. keine Anreize sehen, diese zu
erlernen und sich auszubilden. Mit einigen Ausnahmen sind nicht ausreichend
Luxemburger in privaten Produktionsunternehmen und im zukunftsträchtigen
Hochtechnologiesektor tätig. Trotz der vielen Bemühungen der Regierung,
Unternehmensgründungen zu fördern, mangelt es vor allem an der
unternehmerischen Risikobereitschaft der jungen Generation.
Um
dieses Ungleichgewicht zu verringern muss die Regierung geeignete Schwerpunkte
in der Bildungs- und Arbeitspolitik sowie in der Industriepolitik setzen. Die
Schul-, Ausbildungs- und Hochschullehrpläne sowie geeignete Steuern und
Subventionen sollten dazu dienen, LuxemburgerInnen die Fähigkeit zu geben und
Anreize zu anzubieten, um sich trotz der höheren Finanzrisiken im Privatsektor
und als FirmengründerInnen zu engagieren.
Als
Beispiel könnte man an dieser Stelle die Politik der singaporeanischen
Regierung ins Visier nehmen, die ihre Wirtschaft absichtlich, seit den
Anfangsjahren in den Siebzigerjahren, auf mehreren Säulen aufgebaut hat. Nicht
nur die sehr wichtigen Finanz- und Dienstleistungssektoren treiben die
Wirtschaft, sondern auch Ölraffinerien und Chemie, Pharma und Gesundheit sowie
die exportorientierte Produktion von höherwertigen elektronischen Komponenten
usw. Hierzu hat Singapur in ein Weltklassebildungssystem aufgebaut, was sich in
dessen konsistenten Erfolg in den Pisa-Studien und in den heute renommierten,
vier Weltklasseuniversitäten widerspiegelt. Obwohl die Politik und staatlich
kontrollierte Unternehmen in Singapur eine sehr große Rolle spielen, hat die
Regierung viele finanzielle und infrastrukturelle Anreize für private
Unternehmensgründungen eingeführt. Die Pandemie hat Singapur soweit relativ gut
überstanden. Da jede Krise auch Chancen birgt, plant plant die Regierung den Ausbau
einer umfangreichen Covid-19 Impfstoffproduktions- und Logistikinfrastruktur,
die die ganze südostasiatische Region dienen sollt.
Viertens:
Die Nachhaltigkeit des öffentlichen Haushalts wird durch diese Krise in den
nächsten Jahren auf die Probe gestellt werden. Luxemburgs öffentliche Schulden
sind zwar im EU-Vergleich noch relativ niedrig, aber es gibt keine Garantie,
dass dies auch langfristig bestehen wird. Die Haushalts- und Finanzpolitik muss
rigoros und diszipliniert geplant und gehandhabt werden. Öffentliche Mittel
sollen soweit möglich im Einklang mit den Steuereinnahmen geplant werden, wenn
es auch temporär während der Krisenzeit nicht möglich ist. Investitionsvorhaben
in umweltfreundlicher Verkehrs- und Wohnungsinfrastruktur sowie in die
Entwicklung erneuerbarer Energieinfrastruktur und zirkulärer
Wirtschaftsprojekte müssen durch Arbeitsanreize und leistungsbezogene
Sozialhilfen balanciert werden. Dabei muss den Unternehmen und Bürger*innen
mithilfe von geeigneten Informations- und Ausbildungsprogrammen progressive
Arbeitsethik und konservative Finanzpolitik und Handlungsweise beigebracht und,
wenn nötig, auferlegt werden. Eine nachhaltige Haushaltspolitik muss die
öffentliche Hand, Unternehmen sowie die Bürger*innen mit einbeziehen.
Fazit: Die Pandemie und Wirtschaftskrise erfordert in der nahen Zukunft enorme Ressourcen seitens der Regierung und der öffentlichen Institutionen sowie von der Bevölkerung. Trotzdem sollten die Weichen für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik und für nachhaltige Wachstumsstrategien der nächsten Jahre gesetzt werden. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Diversifizierung der Wirtschaft und der Steuereinnahmen, Anreize für lokale Firmengründungen, die Förderung privater Technologie- und Produktionsunternehmen sowie klimafreundlicher Energie-, Verkehr- und Wohnungsinfrastruktur, und nicht zuletzt eine geringere Abhängigkeit von ausländischen Angestellten und Arbeitern Luxemburgs künftiges Wirtschaftswachstum und dessen Nachhaltigkeit gewährleisten müssen. Letztendlich ist zu betonen: Die Regierung darf nicht nur kurzfristig populäre Entscheidungen treffen. Viel wichtiger ist, dass sie für eine nachhaltige Wirtschaft und somit für den langfristigen Wohlstand und sozialen Frieden im Lande plant und sorgt.
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