Regulierung von Großbanken und Großunternehmen

(2018, aktualisiert Dezember 2021) 

Die Finanzkrise von 2008, der deutsche Dieselskandal und das Cambridge Analytics-Facebook Debakel haben eins gemeinsam: Lobbyismus muss noch konsequenter reguliert werden, um den Missbrauch von Marktmacht zu verhindern.  Ein Gastbeitrag von Ridwan D. Rusli.[i]

Vor über zehn Jahren hat die globale Finanzkrise in den USA begonnen, die eine Bankenkrise und weltweite Liquiditätsengpässe initiierte. 2015 wurde man auf den Abgasskandal in der deutschen Automobilbranche aufmerksam. Die Hauptverantwortlichen sind noch nicht endgültig zur Rechenschaft gezogen worden. Seit 2016 sind die Beschwerden gegen Googles Android und Suchmaschine Gegenstände offizieller Kartellprozesse und beträchtlicher Strafen, und 2017 wurde der mit den US Präsidentschaftswahlen verbundene Datenmissbrauchsskandal der Cambridge Analytics und Facebook bekannt.

Was verbindet diese negativen Ereignisse? Direkt oder indirekt waren es die Manager von Großbanken und Großunternehmen, die ihre Marktmacht unethisch und unverantwortlich ausnutzten. Sie nahmen an hochriskanten Geschäften teil, haben Regeln umgangen oder Kundendaten ausgenutzt. Einerseits erhofften sie sich, mithilfe von riskanteren Transaktionen und Entscheidungen ihre Gewinne zu maximieren und hohe Boni zu verdienen. Andererseits vertrauten sie darauf, dass ihre Institutionen mithilfe von Steuergeldern gerettet und ihren Unternehmen nur milde Strafen ausgesprochen würden, sollten sie durch große monetäre oder Vertrauensverluste ins Wanken geraten. All das war nur möglich, weil diese Banken und Unternehmen so groß und „systemrelevant“ geworden sind, dass die Regierungen und Parlamente es sich nicht leisten können, diese in Krisen untergehen zu lassen. Die Politik hat bisher keine Lösung anbieten können. Die Ursache könnte mangelnde Vision sein, oder der zu starke Einfluss von Geld und Macht auf das ganze politische System.[ii] Die Banken- und Industrielobbys spielen dabei eine wichtige Rolle.

Zu den Großbanken: Historisch nahmen die Großbanken Einlagen von Bürgern und Unternehmen auf und vergaben Konsumenten- und Unternehmenskredite. Seit der Globalisierung der Finanzmärkte in den 1990er Jahren begannen sie aktiv an Wertpapierhandel- und Investmentbanking-Geschäften teilzunehmen. Diese versprachen höhere Gewinne, waren aber viel riskanter. Als „systemrelevant“ bezeichnet man diejenigen Großbanken, die durch ihre inländischen und internationalen Kredit- und Handelsgeschäfte stark mit anderen Großbanken und Großunternehmen vernetzt sind. Wenn diese in finanzielle Schwierigkeiten geraten, gefährden sie das gesamte Banken- und Wirtschaftssystem. In Deutschland gehören zu diesen systemrelevanten Banken Deutsche Bank, Commerzbank und die größten Landesbanken.

Diese Systemrelevanz gibt den Managern dieser Großbanken falsche Anreize. Erstens werden sie dazu verleitet, an hochriskanten, aber potentiell hochprofitablen Geschäften teilzunehmen. Zweitens, sie sind durch die Größe ihrer Banken und die hohe Anzahl der von ihnen abhängigen Arbeitsplätze in der Lage, die Politik und die Regulierung ihrer Industrien zu beeinflussen. Drittens, ihre Investment-banking- und Wertpapieremissionsdivisionen können Aktien- und Anleiheanalysten einstellen und Kreditratingagenturen beauftragen. Diese unterstützen ihre profitablen Geschäfte, resultieren jedoch in Interessenkonflikte, zum Nachteil der Investoren. Die mangelnde Objektivität und Unabhängigkeit der Großbanken gefährdet das Wirtschaftssystem und erhöht das Systemrisiko. Auf Dauer müssen Investoren, Unternehmen und Sparer mit erhöhten Zins-, Währungs- und Wertpapierpreisschwankungen rechnen. Darüber hinaus könnten Steuergelder in schweren Krisensituationen zur Rettung mancher Großbanken und zur Stabilisierung des Wirtschaftssystems eingesetzt werden müssen.

Diese Großbanken müssen reguliert werden. Drei wichtige Säulen der Bankenregulierung wurden eingeführt: Die Baselrichtlinien über Mindesteigenkapitalquoten; die MiFID und MiFIR Regeln, die unter anderem das Verhältnis zwischen Banken, Wertpapieremittenten, Analysten und Ratingagenturen regulieren; und die Trennung der Konsumentengeschäfte von den riskanteren Investmentbanking- und Wertpapierhandelsaktivitäten.

Zu den Großunternehmen: In Deutschland sind es die großen Automobilhersteller und Industrieunternehmen wie VW, Siemens, BASF und viele andere. Die Systemrelevanz dieser großen Unternehmen liegt an der Anzahl der von ihnen abhängigen Arbeitsplätze. Ferner sind es oft diese Großunternehmen, die intensiv in Forschung und Entwicklung investieren und einen wichtigen Beitrag zur Innovationsfähigkeit der Wirtschaft beitragen. Aus diesen Gründen genießen diese Unternehmen die Unterstützung der öffentlichen Hand. Hier sollte die Politik aber vorsichtig vorgehen. Einerseits sollte sie der Großindustrie im Falle von systemweiten und externen Herausforderungen, wie z.B. die derzeitige Pandemie und die geopolitisch beeinflusst, nicht immer berechenbare Welthandelsdynamik, zur Seite stehen. Andererseits müssen die Regierung, das Parlament und die Justiz auch unabhängig bleiben. Unternehmen, die ungerechtfertigte oder für die Öffentlichkeit schädigende Entscheidungen treffen, müssen konsequent zur Verantwortung gezogen und bestraft werden.

Dasselbe gilt für große Social Media- und Internetunternehmen wie Google, Yahoo und Facebook. Diese Unternehmen sind derartig groß und mächtig geworden, dass die gezielte Ausnutzung oder Manipulation von Personendaten möglich ist. Die illegalen Rollen von Cambridge Analytics und Facebook bei den Präsidentschaftswahlen in den USA und Googles Missbrauch von dessen Marktmacht in Bezug auf Shopping-Suchmaschinen und Betriebssystemen von Smartphones sind erwähnenswert.

Die größte Hürde auf dem Weg zur konsequenten Umsetzung der Bankenregeln ist die starke Bankenlobby. Diese bemüht sich, gewinnmindernde Bankenregeln zu verwässern und deren Implementationszeitpläne hinauszuzögern. Bei den großen Industrie-, Social Media- und Internetunternehmen läuft es genauso. Ihre Lobbys versuchen, die zum Schutz der Konsumenten eingeführten Umwelt-, Produktsicherheit- und Datenschutzgesetze zu beeinflussen. Einerseits erfüllen sie alle eine Aufklärungsfunktion und dienen einer informierten Politik. Andererseits nutzen sie als Konsequenz ihrer starken Machtpositionen ihre Systemrelevanz aus, wenn sich die Gelegenheit ergibt bzw. sie Nachteile für ihre Branchen befürchten.               

Drei Reformansätze sind aufzulisten, um die bestehenden Lobbyregeln zu stärken: Erstens, die unabhängige und konsequentere Umsetzung der Bankenregeln sowie der Kartell- und Datenschutzgesetze. Hier sind z.B. das Inkrafttreten der neuen EU-Datenschutzgrundverordnung und ihre Anwendung im Falle Facebooks sowie die an Google verhängten Kartellstrafen Schritte in die richtige Richtung. Die konsequente Umsetzung dieser Verordnung und die Zahlung der Strafen sollten schnell realisiert werden. Regeln und Gesetze sind nur wertvoll und wohlfahrtsfördernd, wenn diese implementiert und umgesetzt werden. Wie effektiv Regierungen, Parlamente und die Justiz im Lande und weltweit sein werden, steht noch offen. In Deutschland wartet man immer noch auf das Endspiel des Dieselskandals.

Interessant ist, dass die Justiz in den Vereinigten Staaten die deutschen Automobilhersteller härter anpacken, während die deutschen und EU Kartellämter Google und Facebook aggressiver zur Verantwortung ziehen. Unerwartet ist es nicht, denn jedes Land möchte seinen technologischen Vorsprung und seine Beschäftigten schützen. Dies benötigt eine bessere internationale Koordination. In der politischen Realität sind jedoch Koordinationsversuche viel schwieriger, weil jedes Land seine eigenen Interessen vertritt. Der Druck muss also von den Nichtregierungsorganisationen und Konsumentenverbänden kommen. Ferner, auch wenn die Dieseltestmanipulationen nur indirekt umweltschädigend sind und nicht ausschließlich für Deutschlands Verfehlen der EU Umweltauflagen verantwortlich gemacht werden können, darf solches Verhalten seitens der Automobilmanager nicht geduldet werden. Wenn Manager skrupellos entscheiden und leicht davonkämen, dann könnten sie dazu verleitet werden, künftig kommerziell attraktive aber öffentlich schädigende Entscheidungen zu treffen. Gerade hier ist die kollektive Rolle der öffentlichen Hand dringend gefragt, um solche indirekt negativen Auswirkungen frühzeitig zu meiden.  

Zweitens sollte der durch den raschen Personalwechsel zwischen Politik und Wirtschaft resultierende „Drehtüreffekt“ legislativ und gesetzlich reguliert werden. Beispielweise soll ein ausgehender Politiker nur nach Ablauf einer Karenzfrist von mindestens 24 bis 30 Monaten in ein mit seinem letzten Aufgabenbereich in Verbindung stehendes Privatunternehmen wechseln dürfen.[iii] Dieselbe Frist sollte beim Wechsel von der Privatwirtschaft zu Posten im öffentlichem Dienst gelten. Solche Regeln dienen dazu, dass die Beziehungen mit ehemaligen Kollegen und Vorgesetzten auf beiden Seiten zumindest teilweise abgekühlt werden. Somit könnte man künftige Interessenkonflikte vermindern.

Drittens, die erhöhte Transparenz seitens der Politiker sollte gesetzlich geregelt werden. Sie sollen nicht nur ihr persönliches und Familieneinkommen offenlegen, sondern auch wichtige Aktivitäten wie einzelne Gesprächsthemen und offizielle Reisetermine. Die Lebensläufe von Politikern und von Privatlobbyisten müssten öffentlich zugänglich sein. Dabei sollte die öffentliche Lobbyliste des Bundestags, die derzeitig freiwillig ist und hauptsächlich Verbände umfasst, zur Pflicht gemacht und erweitert werden.[iv]

Die Wirtschaft und das Land braucht ihre international tätigen Großbanken und Großunternehmen. Diese müssen unterstützt werden, vor allem in ihren Innovationsbestreben um Zukunftstechnologien. Deren Regulierung ist jedoch notwendig, um die Gefahr des Missbrauchs ihrer Marktmacht vorzubeugen. Laut Jean Tirole, Gewinner des Nobelpreises der Ökonomie in 2014: „Das Bestreben nach dem Kollektiven Wohlstand erlaubt und unterstützt die Suche nach privaten Vorteilen und Wohlbefinden, jedoch nicht auf Kosten des Rests der Gesellschaft“.[v]



[i] Professor für Internationale Finanzierung und Strategie, Technische Hochschule Köln. Ökonom, ehemaliger Investmentbanker, Energieindustriemanager, Chemieingenieur, Chemiker.

[ii] Siehe die US Analyse: Acemoglu, D. and Simon Johnson, “It’s Time to Found a New Republic”, Foreign Policy, 15.08.2017.

[iii] Transparency International hat in seinem 2014 Bericht „Lobbying in Deutschland“ 10 Forderungen gestellt, inklusive einer Karenzzeit von drei Jahren.

[iv]Die derzeitige Liste umfasst noch keine Unternehmen, NGOs, Umwelt- und Sozialverbände: Christian Orth, “Was für und gegen Lobbyismus spricht.“, PULS im TV, 30.03.2017.

[v] Aus dem Einführungskapitel von Jean Tirole, „Economics for the Common Good“, Princeton University Press, 2018.

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